Leitidee: Der Vorspanntext betont deutlich die Leitfrage der gesamten Einheit 11.1: Die Schüler untersuchen, „wie es den Menschen in vergangenen Jahrhunderten gelungen ist […], die Herausforderungen des Lebens zu meistern“. Die Einheit geht also von „den Menschen“ aus und betrachtet konsequent die Geschichte „von unten“, aus der Perspektive des Alltags. Die Erwähnung der Historischen Anthropologie und der Kulturgeschichte (Vorspann zum Gesamtlehrplan) unterstreicht diese Zielsetzung; ebenso verweisen auf diesen Schwerpunkt die Betonung der Alltagskultur im Vorspanntext zu 11.1 und vor allem die Überschriften der beiden Lehrplankapitel 11.1.1 und 11.1.2, die sich jeweils auf das „Leben“ in den jeweiligen Zeiträumen beziehen. Das Lehrplankapitel 11.1 soll also nicht (im Sinne eines rein sozialgeschichtlichen Zugriffs) Gesellschaftsstrukturen früherer Epochen vermitteln, aus denen dann Lebensverhältnisse abgeleitet werden. Vielmehr sollen – genau umgekehrt - Lebensverhältnisse dargestellt werden, zu deren Verständnis freilich gelegentlich auf Gesellschaftsstrukturen verwiesen werden muss. Angestrebt wird eine sozialhistorisch fundierte Kulturgeschichte, keine Sozialgeschichte mit kulturhistorischer Dekoration: Jeweils das erste (Gesellschaftsstrukturen) und das letzte Thema (demographische Entwicklung) spannen einen sozialhistorischen Rahmen, in dem sich die kultur- und alltagsgeschichtlichen Schwerpunktthemen entfalten.
Die beiden Zeiträume, Frühe Neuzeit und 19. Jahrhundert, stehen repräsentativ für viele andere Epochen, in denen ebenfalls eine „Gesellschaft im Wandel“ zu beobachten ist. Ohne dass Wandlungen zwischen dem 15./16. und dem 18. Jahrhundert in Abrede gestellt werden, soll doch vor allem der Wandel von der vormodernen Gesellschaft zur industriellen Gesellschaft (genauer: der Entwicklung der Lebensbedingungen) im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kommen.
Perspektiven für die Prüfungspraxis: Die unterrichtliche Arbeit sollte darauf abzielen, die Lebensverhältnisse der beiden Epochen modellhaft zu entwickeln und allgemeine Merkmale, weniger lokale und regionale Sonderwege, in den Blick zu nehmen. Die Prüfungsaufgabe könnte z. B. vom Prüfling verlangen, vorgegebene Materialien (z. B. Schriftquellen, Statistiken) mit Blick auf die Frage auszuwerten, inwiefern die im Material deutlich werdenden Lebensverhältnisse typisch für die jeweilige Epoche sind. Sie könnte aber auch verlangen, die Situation in den im Unterricht als Beispiel gewählten Räumen (z. B.: Augsburg in der Industrialisierung) mit der Situation in anderen Räumen zu vergleichen, über die sich der Schüler aus beigegebenen Materialien informieren kann (z. B.: München in der Industrialisierung).
Verhältnis zur Sozialkunde: Das Motiv des gesellschaftlichen Wandels prägt die Einheit und bietet vielfältige Anknüpfungspunkte zum Fach Sozialkunde, das gleichzeitig „Struktur und Wandel in der Gesellschaft der Bundesrepublik“ (Sk 11.1) behandelt. Leicht überspitzt könnte man sagen, dass Geschichte die Entwicklung hin zur Industriegesellschaft beobachtet, während Sozialkunde beobachtet, wie sich die Industriegesellschaft auflöst und postindustriellen Strukturen entwickelt.