Der Lehrplan bezieht sich hier auf den Investiturstreit, namentlich auf die Vorgänge in Canossa 1077. Der Umstand, dass beide Vorgänge nicht direkt genannt werden, sollte jedoch nicht übersehen werden: Thema dieses Teilkapitels ist nicht die Ereignisgeschichte des Investiturstreits, sondern der grundlegende Wandel, den das europäische Verständnis von Herrschaft und Herrschaftslegitimation in dieser Zeit erfährt und der das gegenwärtige Europa – man denke an die Auseinandersetzungen um den Stellenwert des Christentums im Text der EU-Verfassung – bis heute bestimmt. Das Thema kann auch Anlass geben, über das Verhältnis der europäisch-westlichen Welt zu solchen Kulturräumen nachzudenken, in denen weiterhin von einer Einheit beider Gewalten ausgegangen wird (z. B. Idee des „Kalifats“ im Islam). Dabei sollte freilich nicht eine fundamentale Kritik das Ziel sein, sondern ein tieferes Verständnis des Eigenen und des Anderen. Die farbigen, anschaulichen Ereignisse von Canossa können – etwa als Stundeneinstieg – durchaus Gegenstand des Unterrichts sein, dürfen aber nicht den Blick verstellen auf die großen ideengeschichtlichen Linien.