Leitidee: Das Teilkapitel 11.2.2 bemüht sich um zwei miteinander verbundene Fragestellungen: Zum einen befassen sich die Schüler mit der Verfolgung und Ermordung der Juden im „Dritten Reich“. Zum anderen widmen sie sich der Frage, wie sich die Deutschen zum nationalsozialistischen Rassismus und Antisemitismus verhielten. Vor allem das zweite Thema stellt den Bezug zum Rahmenthema des Lehrplankapitels 11.2 – Demokratie und Diktatur – her, indem es eine Teilerklärung zu der Frage liefert, warum die NS-Diktatur bei der Bevölkerung auf relativ hohe Zustimmung stieß: Die neuere Forschung hat dargelegt, dass sich die deutsche Bevölkerung vielfach nicht widerwillig und unter Zwang mit der Diktatur arrangierte, sondern das von der NS-Propaganda bereitgestellte Identifikationsangebot der „Volksgemeinschaft“ insgesamt bereitwillig annahm. Die Überzeugungskraft dieser Integrationsideologie beruhte auch darauf, dass sie Feindbilder lieferte, Bürger also nicht nur einbezog, sondern auch ausschloss. Insofern kann die „Volksgemeinschaft“ – wie der Lehrplan formuliert – als „Pendant zum antisemitischen Feindbild“ verstanden werden.
Anmerkung zur Überschrift: Die Überschrift bezieht sich – in durchaus provozierender Weise – auf die 1996 erschienene, damals heftig umstrittene Monographie „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Jonah Goldhagen. Der Begriff „Vollstrecker“ wird allerdings durch „Volksgenossen“ ersetzt und die gesamte Formulierung mit einem Fragezeichen versehen: Der Lehrplan äußert sich also nicht zustimmend zu Goldhagens These, sondern schließt an die vom ihm und anderen Historikern gestellte Frage an, ob die Deutschen den Holocaust „willig“ in Kauf nahmen oder sogar förderten. Die kontroversen Antworten und die schwierige Gemengelage der Sachverhalte sollten den Schülern vorgeführt und mit ihnen diskutiert werden.
Literatur: Genannt werden nur wenige ausgewählte Titel (Handbücher, Überblicksdarstellungen, aber auch Spezialuntersuchungen), in denen die Intentionen einer Lehrplaneinheit bzw. einzelner Aspekte nach Meinung der Lehrplankommission besonders deutlich zum Ausdruck kommen:
- Frank Bajohr/Dieter Pohl: Der Holocaust als offenes Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten. München: C. H. Beck 2007 (bes. Teil I: Vom antijüdischen Konsens zum schlechten Gewissen. Die deutsche Gesellschaft und die Judenverfolgung).
- Norbert Frei: Der Führerstaat. Erw. Neuausgabe München: dtv 2001.
- Peter Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945. München: Siedler 2006 (bes. S. 313-328).
- Edgar Wolfrum (Hg.): Die Deutschen im 20. Jahrhundert. Darmstadt: Primus 2004 (S. 159-168).