Leitidee: Die Überschrift würde missverstanden, wer das Fragezeichen ignoriert: Der Lehrplan fordert nicht eine verklärende, den demokratischen Neubeginn und das „Wirtschaftswunder“ verherrlichende Sicht auf die Adenauerzeit und ruft auch nicht dazu auf, einen identitätsstiftenden Gründungsmythos der Bundesrepublik zu konstruieren: Vielmehr soll untersucht werden, womit der für viele überraschende Erfolg der jungen deutschen Demokratie nach 1949 zu erklären ist: Vor allem mit dem gleichzeitig einsetzenden Wirtschaftsaufschwung? Oder auch mit einer auf Einsicht und Schuldbewusstsein beruhenden Hinwendung zum Modell der westlichen Demokratien? Mit dem Kalten Krieg und der damit verbundenen antikommunistischen Prägung der westdeutschen Bevölkerung? Wesentlich ist, dass diese und andere Erklärungsfaktoren, bei im Einzelnen zu diskutierendem Stellenwert, und verbunden mit einem durchaus kritischen Blick auf die Jahre nach 1949, ins Gesichtsfeld treten.
Struktur des Lehrplankapitels 11.2.3: Die Anordnung der Einzelthemen zeigt, dass eine chronologische Behandlung der Jahre 1945/49-1963/66 der Zielrichtung dieses Lehrplankapitels nicht gerecht werden könnte: Sie würde einerseits die Kernfrage verwischen und andererseits zu viele Aspekte berühren, die mit dem eigentlichen Thema nur am Rande zu tun haben.
Bedeutung verfassungsgeschichtlicher Fragen für das Lehrplankapitel 11.2.3: Das Grundgesetz wird im Lehrplantext nicht eigens genannt, wohl aber mittelbar angesprochen („Lehren aus Weimar“; „sozialpolitische Integrationsklammern“; Verwestlichung“; „parlamentarische Demokratie“). Damit wird einerseits deutlich, dass eine eingehende Behandlung des Grundgesetzes, wie sie im Sozialkundeunterricht der Jahrgangsstufe 10 erfolgte und im Geschichtsunterricht der Jahrgangsstufe 9 grundgelegt wurde, nicht erneut angestrebt wird. Auch das Fach Sozialkunde greift in seinem Jahrgangsstufenlehrplan 11 auf diese Wissensbasis zurück. Andererseits zeigen die indirekten Erwähnungen, dass Verfassungsfragen durchaus diskutiert werden können. In diesem Zusammenhang sei auf die allgemeinen Ausführungen zum Lehrplankapitel 11.2 verwiesen, wo dargelegt wurde, dass sich 11.2 weniger mit verfassungsgeschichtlichen Fragen im engeren Sinne, sondern vielmehr mit einer Geschichte der politischen Mentalitäten vor dem Hintergrund der jeweiligen Verfassungsordnungen beschäftigt.
Literatur: Genannt werden nur wenige ausgewählte Titel (Handbücher, Überblicksdarstellungen, aber auch Spezialuntersuchungen), in denen die Intentionen einer Lehrplaneinheit bzw. einzelner Aspekte nach Meinung der Lehrplankommission besonders deutlich zum Ausdruck kommen:
- Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart: Klett-Cotta 2006 (Abschnitt A: Wiederaufbau und Verwestlichung. Die Gründerjahre der Bonner Demokratie 1949-1959).
- Edgar Wolfrum (Hg.): Die Deutschen im 20. Jahrhundert. Darmstadt: Primus 2004 (bes. S. 26-39, 77-88, 123-133).